Wiege der deutschen Kernenergie-Industrie
Sicherheit für Kernkraftwerke weltweit

Seit über 60 Jahren wird in Karlstein an Technologien für den sicheren Betrieb der Kernkraftwerke gearbeitet. Die Anforderungen an die Qualifikationen der Belegschaft steigen ständig. Trotz Fachkräftemangel ist ein Wachstum deutlich sichtbar. AKTIV-regional hat den Betriebsrat von Framatome besucht.

24. Oktober 202324. 10. 2023


Im Industriepark Karlstein arbeiten bei Framatome 330 Beschäftigte unter anderem an der Verbesserung der Sicherheitstechnik für laufende und neue Kernkraftwerke weltweit.

Framatome ist ein französisches Unternehmen mit 16.000 Beschäftigten und gehört mehrheitlich zum staatlichen Energieunternehmen Électricité de France SA (EDF). Framatome hat in Deutschland 3000 Beschäftigte an vier Standorten. Wir sprachen mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten Ibrahim Koryürek (freigestellter Betriebsratsvorsitzender), Norbert Losch (Diplom Ingenieur Systemtechnik) und Wolfhard Zuber (Spezialist Kalibrierung Messgeräte) über die sechzigjährige Geschichte der Nuklearindustrie in unserer Region.

Die Kollegen erleben derzeit, trotz des vom Gesetzgeber beschlossenen Ausstiegs Deutschlands aus der Kernenergie, ein internationales Wachstum von Framatome. Das liegt auch an den zahlreichen aktuellen und geplanten Neubauprojekten von Druckwasserreaktoren des Typs „European Pressurized Reaktor“ (EPR - ein deutsch-französisches Produkt).

Weltweit sind heute über 400 Kernkraftwerke in Betrieb. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) zählt aktuell 61 Neubauten. Viele weitere sind in Planung, um die Klimaschutzziele der einzelnen Länder zu erreichen. „Das alles bedeutet für uns zukunftssichere Arbeitsplätze“ so der Betriebsratsvorsitzende Ibrahim Koryürek.

Auch in Europa entstehen neue Kernkraftwerke zur Versorgungssicherheit und CO2 Vermeidung. So werden in Frankreich sieben und in Großbritannien vier weitere Kernkraftwerke vom Typ EPR gebaut. Weitere europäische Länder, wie z. B. Polen, Tschechien, Belgien, Schweden, Finnland und andere setzen zunehmend auf die Kernenergie. Die Kernkraftwerke in Osteuropa haben, ausgelöst durch den Ukraine Krieg, viele Projekte gestartet, um ihre bisherigen Abhängigkeiten von russischen Zulieferungen zu verringern.

Kompetenzen und Produkte zum sicheren Betrieb aus Karlstein

Von den 330 hochqualifizierten Framatome Beschäftigten arbeiten zwei Drittel in der Technik und der Entwicklung und ein Drittel in der Produktion. In Karlstein werden mehrere Produktfelder bedient, die sehr stark auf die Sicherheit von Kernkraftwerken fokussiert sind.

Die System- und Leittechnik mit all ihren Komponenten sind salopp gesagt die Organe, Adern und Nervensystem eines Kernkraftwerkes. Von deren einwandfreier Funktion hängt die Sicherheit des gesamten Kraftwerkes ab.

Seit der Errichtung der ersten Gebäude am Standort Seligenstädter Straße – zeitgleich mit der Errichtung des ersten deutschen Atomkraftwerks in Kahl - im Jahr 1960, wurde die Entwicklung, Qualifizierung und Fertigung kerntechnischer Systeme und Komponenten gestartet. Ein eigenes, praxisorientiertes Schulungszentrum dient der Aus- und kontinuierlichen Weiterbildung von Mitarbeitern der Kraftwerksbetreiber.

Unter den diversen Qualifizierungstestständen gibt es dort auch den größten Armaturenprüfstand der Welt. Als international akkreditiertes thermohydraulisches Labor werden hier Komponentenuntersuchungen durchgeführt. 

Neben der spezialisierten Fertigung von Instrumentierungen, elektrischen Systemen, Überwachungseinrichtungen für Armaturen und hoch entwickelten Ultraschall-Messsystemen zur Prüfung und Wartung, wurden am Standort von jeher führende Technologien entwickelt.

Einzigartige Systeme erlauben sogar im Störfall eine Überwachung, den sofortigen Wasserstoffabbau, und eine gesteuerte Druckentlastung. Beim Reaktorsicherheitsbehälter können Wasserstoff und Druck gezielt abgebaut und die radioaktiven Stoffe gefiltert werden, um nicht nach außen zu gelangen.

„Inzwischen wurden die Karlsteiner Wasserstoff-Rekombinatoren in vielen Kernkraftwerken weltweit eingebaut.“ bemerkt Norbert Losch. Der Rückbau und Entsorgung von stillgelegten Kernkraftwerken werden vom Kraftwerk bis zum Zwischen- und Endlager betreut. Wolfhard Zuber verweist auch auf das hohe Technologie- und Qualifikationsniveau der gesamten Belegschaft in Karlstein. „Das bringt uns auch Kunden außerhalb der kerntechnischen Industrie. Unsere Technologie für zerstörungsfreie Werkstoffprüfung wird z. B. auch in der europäischen Flugzeug- und der Bahnindustrie eingesetzt“.

Karlsteiner Kollegen tragen mit ihrer Kompetenz auch zur Energiewende durch Entwicklung und Projekte in der Wasserstoffwirtschaft und elektrischen Batteriespeichern bei. Aktuell werden schon mehr als 90% der Framatome Leistungen und Produkte von internationalen Kunden geschätzt und beauftragt. Derzeit entsteht an der Seligenstädter Straße ein Büroneubau sowie eine Erweiterung der Fertigungshalle. Das nachhaltige Wachstum zeigt sich daran, dass der Standort kontinuierlich wächst und an der Vielzahl offener Stellen aus allen Bereichen, z. B. Ingenieure, Mechaniker, Elektriker, Kaufleute, Einkauf etc.

Arbeitnehmervertretungen sichern die Interessen der Beschäftigten

Bezahlt wird in Karlstein, der sechzigjährigen Tradition folgend, nach dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie. Für die wachsende Belegschaft in Karlstein arbeitet ein neunköpfiger Betriebsrat mit überproportionalem Frauenanteil. Mit den Sachthemen befassen sich vier Ausschüsse des Gremiums. Im Framatome Gesamtbetriebsrat vernetzen sich die deutschen Standorte. Themen wie die Personalentwicklung werden dort gemeinsam bearbeitet. Auf Europäischer Ebene ist der Konzern Framatome ein Teil des großen staatlichen Konzerns Électricité de France SA (EDF). Dort gibt es einen Europäischen Betriebsrat, der regelmäßig in Paris tagt. Auch in Arbeitsgruppen des Europäischen Betriebsrat arbeiten Arbeitnehmervertreter von Framatome aus der deutschen Region mit.